BGH erleichtert die Durchsetzung von Ansprüchen nach Unfällen aufgrund Verstoßes gegen Streupflicht

Der BGH stellt klar, dass Gerichte die Anforderungen an den Sachvortrag zur winterlichen Streupflicht nicht übersteigern dürfen. Er hebt eine Entscheidung des OLG Frankfurt auf, weil dieses den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hat. Die Anforderungen an den Vortrag zur „allgemeinen Glätte“ wurden unzulässig überspannt und zulässiges Vorbringen wurde fehlerhaft als präkludiert behandelt. Zudem hat das OLG die Grundsätze zum haftungsausschließenden Mitverschulden bei Glätteunfällen rechtsfehlerhaft angewendet.

1. Kernaussage des Urteils

Der BGH stellt klar, dass Gerichte die Anforderungen an den Sachvortrag zur winterlichen Streupflicht nicht übersteigern dürfen.
Ergänzender oder konkretisierender Vortrag in der Berufungsinstanz ist nicht als „neues Vorbringen“ zu werten, wenn er lediglich einen bereits schlüssigen Vortrag präzisiert.
Ein vollständiger Haftungsausschluss wegen Mitverschuldens des Geschädigten kommt nur bei einer „schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit“ in Betracht — diese Schwelle war vom OLG grundlegend falsch angewandt worden.

2. Tatbestand

Die Klägerin, damals 80 Jahre alt, stürzte am 8. Februar 2021 auf dem Bürgersteig vor dem Grundstück des Beklagten. Sie schildert den Weg als „vereist“ und „spiegelglatt“, mit einer dicken Eisschicht, die nach Einschätzung ihres Begleiters über Tage entstanden sei. Auch der Begleiter stürzte, verletzte sich aber kaum.

Der Beklagte behauptet, er habe am Morgen des Unfalltages ordnungsgemäß geräumt und gestreut.
Das Landgericht wies die Klage nach Beweisaufnahme ab.
Das Oberlandesgericht verwarf die Berufung der Klägerin und begründete dies damit, dass sie keine allgemeine Glätte dargelegt habe und ihr zudem ein so erhebliches Mitverschulden anzulasten sei, dass die Haftung des Beklagten vollständig entfalle.

Die Klägerin erhob Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH.

3. Entscheidungsgründe

a) Verletzung des rechtlichen Gehörs durch überspannte Substantiierungsanforderungen

Der BGH rügt, dass das OLG die Anforderungen an den klägerischen Vortrag zur allgemeinen Glätte in unzulässiger Weise überzogen hat.
Die Klägerin hatte bereits vor der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass Glätte vorlag, und ein Sachverständigengutachten hierzu beantragt. Dies genügt für einen schlüssigen Vortrag.
Weitere meteorologische Angaben waren nicht erforderlich, um eine Streupflichtverletzung plausibel darzustellen.

Gerichte dürfen die Substantiierungspflicht nicht derart hoch ansetzen, dass der Vortrag trotz schlüssiger Behauptungen als ungenügend verworfen wird.

b) Fehlerhafte Präklusion von klägerischem Vorbringen

Nach der mündlichen Verhandlung hatte die Klägerin ergänzenden Vortrag zur allgemeinen Wetterlage eingereicht (anhaltende Temperaturen unter 0°, seit Tagen bestehende Glätte, Verkehrsbehinderungen etc.).
Dieser Vortrag diente lediglich der Konkretisierung des bereits schlüssigen Vortrags aus der ersten Instanz und durfte daher nicht als „neu“ präkludiert werden.

Selbst wenn man ihn als neu sähe, wäre er zuzulassen gewesen, weil das Landgericht einen Hinweis hätte geben müssen, dass weiterer Vortrag zur allgemeinen Glätte erforderlich sei.

c) Grundlegende Fehlanwendung der Maßstäbe zum Mitverschulden

Der BGH betont, dass ein vollständiger Haftungsausschluss wegen Mitverschuldens nur in extremen Ausnahmefällen möglich ist — nämlich wenn das Verhalten des Geschädigten eine geradezu unverständliche Sorglosigkeit darstellt.

Das OLG hat jedoch lediglich darauf abgestellt, dass die Klägerin bei „gebotener Achtsamkeit“ hätte erkennen können, dass der Weg glatt sei.
Das genügt nicht:

  • Es genügt nicht, dass Glätte erkennbar sein könnte.
  • Entscheidend ist, ob sich der Geschädigte bewusst einer erheblichen, erkannten Gefahr ausgesetzt hat.
  • Die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden trägt der Beklagte — was das OLG ebenfalls verkannt hat.

Zudem trug die Klägerin selbst vor, dass sie die Glätte erst bemerkte, als sie bereits auf der Fläche stand und unmittelbar stürzte. Damit fehlte es an der vom OLG unterstellten bewussten Gefahreneingehung.

d) Entscheidungsrelevanz

Da das OLG sowohl den Sachvortrag zur Streupflicht als auch das angebliche Mitverschulden rechtsfehlerhaft bewertete, ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs entscheidungserheblich. Es fehlen zudem Feststellungen zur Frage, ob der Beklagte tatsächlich schuldhaft seine Streupflicht verletzt hat — dies muss das Berufungsgericht nun nachholen.

4. Urteil

Der BGH hebt den Beschluss des OLG Frankfurt auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Das Berufungsgericht muss den vollständigen Vortrag der Klägerin berücksichtigen und die korrekten rechtlichen Maßstäbe zur Streupflicht und zum Mitverschulden anwenden.

(https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=7c1fc1d1fd9656e92dd61507a2b2cd81&nr=142777&anz=1&pos=0&Blank=1.pdf)

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